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Judentum

Antisemitismus/ Antijudaismus


Im Jüdischen Lexikon (Berlin 1927) steht unter dem Begriff "Antisemitismus" u.a. folgendes:

„Die Wurzel des A. ist ohne Zweifel der in den selbständigen Völkern wohnende Drang, sich gegen alles Andersseiende gefühlsmaessig abzugrenzen, das Eigene durch Verehrung zu befestigen, das Fremde aber durch Beiseiteschiebung für die eigene Art ungefährlich zu machen… Weil die Juden aber ihr Territorium nach den Römerkriegen gegen Titus (70 n.) und unter Bar Kochha (135 n.) endgültig verloren hatten und innerhalb der Völker siedelten, weil sie waffenlos und als Kriegsgefangene aus höherer, zivilisatorisch und psychologisch verfeinerter Kultur in die
Nachfolgestaaten des Imperium Romanum und damit unter waffenstolze Barbarenvölker gerieten, weil ihnen der Makel der Beschneidung (Brit mila) anhaftete, der sie in den Augen dieser Völker in die Nähe der Kastraten rückte, und weil eine ideologisch begeisterte christliche Priesterschaft und Kirchenlehre die Juden zu Mördern von Gottes Sohn stempelten, schon um Rom und die Griechen innerhalb der Kirche zu entlasten oder zu stärken - aus diesem Komplex nationaler, sozialer, wirtschaftlicher, religiöser und allgemein menschlicher Motive konnte sich ein der Verachtung und dem Abscheu ähnliches Moment mit der gefühlsmässigen Konstatierung des Vorhandenseins von Juden um so inniger und zentraler verbinden, als es dem menschlichen Selbstgefühl, besonders dem unsicheren und geschwächten kleinbürgerlicher Kasten, notwendig scheint, verachten zu dürfen (das eigene
Minderwertigkeitsgefühl durch Verachtung anderer zu kompensieren bzw. zu überkompensieren). Von Anfang an überdeckten übr. den urspr. Nationalhass die anderen Affekte: vor allem die religiösen, d.h. klerikal gefärbten, gesteigerten und missbrauchten Glaubensleidenschaften, und die wirtschaftlichen, sei es der Drang, sich der Juden als Gläubiger zu entledigen (Pogrome von aufgeregten Bauern oder Kleinbürgern), oder kühle und wohlberechnete Ausrottung der jüdischen Konkurrenz durch die aufsteigende nichtj. Kaufmannschaft und die Handwerksgilden (antisemitische Gesetzgebungen, legalisierte Judenvertreibungen)... Die Geschichte des A., gleichbedeutend mit der Geschichte der Judenheiten auf der Erde, zeigt einen
periodischen und typischen Ablauf: zu Zeiten von Massenerregungen und Massenkatastrophen schafft sich die hilflose Wut der Betroffenen Luft in Exzessen gegen diejenigen, die ohnehin vom Stempel des Verschiedenseins und der physischen Schwäche gezeichnet sind (Kreuzzüge, Schwarzer Tod, Kosakenaufstand, Wiener Kongress-Ära, russ.  Revolution, Weltkrieg).”

Die Abgrenzung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus ist klar und findet sich in jeder Geschichte des Antisemitismus (Poliakoff, Benz): Antijudaismus ist kirchlich-religiös – Antisemitismus ist säkular-wissenschaftlich, nationalistisch, rassistisch definiert. Der Begriff wird von einem Berliner Journalisten (Marr) 1878 zum ersten Mal verwendet als säkularer Kampfbegriff gegen Juden. Die politischen Bewegungen des späten 19. Jahrhunderts und des 20. Jahrhunderts sind antisemitische und eben nicht
antijudaisitische, obwohl der Antijudaismus bekanntlich bis heute nicht verschwunden ist. Heute allerdings wird Antisemitismus im allgemeinen Sprachgebrauch als Oberbegriff für antike Judenfeindschaft- kirchlichen Antijudaismus- rassistischen Antisemitismus- linken Antizionismus verwendet.
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן