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Judentum

Sinn der Fasttage


Rabbiner Schlomo Ganzfried schreibt über Sinn und Inhalt der Fasttage:
"Es ist ein Gebot durch die Worte der Propheten, an den Tagen, an denen unseren Vätern Leiden widerfahren sind, zu fasten; und der Zweck des Fastens ist, die Herzen zu erwecken, die Wege der Rückkehr einzuschlagen ... Darum ist jedermann verpflichtet, an diesen Tagen in sich zu gehen, seine Handlungen zu prüfen und von den schlechten abzulassen ... " (*Kizzur Schulchan Aruch 121,1).
Das Ziel des Fastens ist also nicht die körperliche Kasteiung als solche, sondern die ihr folgende innere Gesinnes-Wandlung. Das Fasten selbst ist nur Mittel zum Zweck. Es ist einfach, den Fasttag in seiner “primitiven” Form des Nicht-Essens zu belassen und dabei den wahren, geistigen Zielen keinerlei Beachtung zu schenken. Dieser Möglichkeit war sich Rabbiner Ganzfried bewusst, als er an gleicher Stelle anfügte:
"Das Fasten ist nur eine Vorbereitung für die Rückkehr; jene Menschen darum, die, wenn sie fasten, lustwandeln und den Tag mit unnützen Dingen verbringen, ergreifen die Nebensache und lassen die Hauptsache liegen" (ibid.).
Gerade bei den vier erwähnten Haupt-Fasttagen wird neben den Trauervorschriften für das Individuum das Schicksal der jüdischen Gemeinschaft betont. Der letzte Oberrabbiner von Hamburg und Altona, Rabbiner Dr. Joseph Carlebach, weist im Jahre 1934 in einem Leitartikel auf die kollektive Dimension der Fasttage hin:
"Der Fasttag ist ein Ausdruck des Verzichts auf das elementarste Bedürfnis des Einzelnen, auf sein täglich Brot, auf die notwendige Selbsterhaltung; der Fasttag bricht den Egoismus. Als Israel sah, dass sein Zusammenbruch deshalb erfolgt ist, weil es die Stimme der Wahrheit nicht mehr hören wollte und konnte, dass es die Selbstaufgabe zugunsten der Gemeinschaft nicht mehr zu verwirklichen fähig war, da setzte es vier Fasttage ein, damit sie die Tage der Selbstbesinnung werden, wo dem Einzelnen wieder sein Judesein als Schicksal, das jüdische Ideal als Seinsbedingung, die Notwendigkeit der nationalen Einheit als Grundforderung zum Bewusstsein käme." ("Die Trauerwochen", Deutsch-Israelitische Zeitung 'Die Laubhütte', 51. Jahrgang, Nr. 15, Hamburg, 19.Juli 1934)

Die Mehrzahl aller erwähnten Fasttage haben Buss- und Sühnecharakter. Es steht zusätzlich jedem Individuum frei, einen persönlichen Fasttag infolge drückenden Sündenbewusstseins, Reuegedanken, für die Errettung aus oder der Verschonung vor einer Notsituation zu halten - all dies jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, dass dabei die Gesundheit nicht gefährdet wird. Diesbezüglich sei betont, dass infolge gesundheitlicher Gefährdung und ärztlichem Rat ein(e) Fastende(r) selbst am heiligen Jom Kippur nicht nur essen darf, sondern essen MUSS, entsprechend dem Grundsatz: "Und ihr sollt euer Leben hüten" (Deut. 4,15).
Es sei hier auch unterstrichen, dass sowohl die gemeinschaftlichen als auch die individuellen Fasttage mit andächtigen Gebeten begleitet werden sollen, als Ausdruck des eigentlichen Zieles der Fasttage: der Aufrüttelung der Seele und der Rückkehr zu Gott. Das Fasten und Kasteien als solches hat im Judentum keinen Wert, und orientierungsloses Fasten ohne das spirituelle Ziel vor Augen wird von den Weisen sogar geringschätzt. Wenn man infolge eines individuellen Fasttages keine Kraft mehr für das Lernen der heiligen Schriften aufbringt, so "hat sich der Gewinn (des Fasttages) im Verlust (des Tora-Studiums) aufgelöst".

Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן