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Judentum

Rosch Haschana


Quelle

In der *Tora wird Rosch Haschana als "des siebten Monats erster Tag" datiert und als "Jom Terua", ein "Tag des Posaunenschalls" (Num. 29,1) bzw. des "Sichron Terua" ("der Erinnerung an den Posaunenschall", Lev. 23,24) bezeichnet. Der Posaunenschall ist denn auch die für dieses Fest zentrale religiöse Handlung.
Die Bezeichnung des Monats Tischri als siebter und nicht etwa erster Monat, wie man es beim Jahresanfang erwarten würde, ergibt sich daraus, daß das Judentum mehrere Jahresanfänge kennt, vergleichbar etwa mit verschiedenen Jahresanfängen des bürgerlichen Kalenderjahres (Sonnenjahr, Fiskaljahr, Schuljahr u.ä). Hinsichtlich des Festtagskalenders gilt der *Nissan als Jahresanfang, und von ihm aus gerechnet ist der Monat Tischri eben der siebte Monat.
In der *Mischna heisst es:
"Vier Jahresanfänge gibt es: Der erste Nissan ist der Jahresanfang (Rosch Haschana) im Hinblick auf das Regierungs- und das Festjahr. Der erste Ellul ist der Jahresanfang für den Zehnt vom Vieh … Der erste Tischri bildet den Jahresanfang hinsichtlich der Zeitrechnung, der Brach- und Jobeljahre, der Baumpflanzungen und der Gemüse. Mit dem ersten Schewat beginnt für den Baum ein neues Jahr …" (Traktat Rosch Haschana 1,1).
 
 
Die Bedeutung des Festes
 
Gottes Königtum und die Akeda
In den Rosch Haschana Gebeten wird Gott bevorzugt als "König" angesprochen. Gottes Königtum ist Ausdruck Seiner uneingeschränkten Autorität, und soll auch vom Menschen uneingeschränkt anerkannt werden. Die bedingungslose Anerkennung von Gottes Autorität seitens des Menschen ist ein von der Bibel immer wieder erhobenes, nach deren Zeugnis jedoch nur selten befolgtes Postulat. Als die in der Geschichte der Menschheit vollkommenste Verinnerlichung dieser Forderung gilt die Akeda, die Bindung Isaaks (Gen. Kap. 22). Abrahams Bereitschaft, einem Befehl Gottes Folge zu leisten, der sich in einem diametralen Gegensatz zu all dem zu befinden schien, worauf sein ja auch bis dahin schon gottgeweihtes Leben ausgerichtet war, ist der höchste Ausdruck menschlicher Unterwerfung unter Gottes absolute Autorität. Gerade sie adelt ihn zum ersten Patriarchen, dem Vater des jüdischen Volkes. So ist es nur bezeichnend, daß nach jüdischer Tradition die Akeda an Rosch Haschana stattfand. Die Geschichte der Akeda ist denn auch das Thema der Toralesung am zweiten Tag des Rosch Haschana Festes.

Rosch Haschana und die Weltschöpfung
Gottes Bezeichnung als König ist eng mit der Weltschöpfung verbunden. Gott habe zwar schon vor der Weltschöpfung geherrscht, heißt es in der dem Morgengebet vorangehenden Adon Olam Hymne, doch erst
"als durch Seinen Willen alles entstand,
seither wird Er König genannt".
Gottes Nennung bzw. Anerkennung als König wurde demnach erst nach Vollendung der Schöpfung - also mit dem Menschen - möglich, denn gekrönt wird ein König ja von seinen Untertanen. Die jüdische Tradition stellt den Zusammenhang zwischen Rosch Haschana und der Weltschöpfung her, indem nach einer im *Talmud geäußerten Ansicht Adam an Rosch Haschana erschaffen wurde. Rosch Haschana kann daher auch als der Geburtstag der Menschheit angesehen werden.
Die von der Bibel postulierte gemeinsame Abstammung der ganzen Menschheit von Adam und Eva schließt eine dualistische Einteilung der Menschen in Söhne des Lichts und Söhne der Finsternis grundsätzlich aus. Der im Judentum durchaus betonte Kampf zwischen Gut und Böse - der an Rosch Haschana vor Gottes Richterstuhl zur Beurteilung kommt - wird somit statt gegen einen vermeintlichen äußeren Feind vornehmlich ins Innere des Menschen verlagert.

Tag des Gerichtes
Trotz der Beziehung zu einem so spezifisch jüdischen Ereignis wie der Akeda trägt Rosch Haschana als Geburtstag der Menschheit einen insgesamt universalen Charakter.
Nicht nur die Juden, sondern alle Menschen treten nach jüdischer Auffassung an diesem Menschheitsgeburtstag vor ihren König, der sie musternd an sich vorbeiziehen läßt "wie ein Hirte seine Schafe". Gott der König ist absoluter Herrscher und kennt keine Gewaltenteilung. Er ist daher auch oberster Richter. Vor Ihm soll ein jeder am Geburtstag seines Menschseins die Bilanz seiner guten und seiner bösen Taten ziehen, vor Ihm soll er sein menschliches Dasein rechtfertigen. Im vollen Bewußtseins seines Ursprungs als mit Aufgabe und vorgegebenem Ziel beauftragtes Geschöpf steht er an diesem Tag vor seinem Schöpfer. Prüfend soll er sich an dem von Gott an ihn angelegten Masstab messen, bevor er an Rosch Haschana bebend und doch voller Zuversicht vor des Gottkönigs Richterthron tritt. Rosch Haschana, der Tag des Gerichtes, wird zum größten Teil im Gotteshaus verbracht, in der von einer feierlich ernsten Gerichtsstimmung beherrschten Gemeinschaft. Sicher nicht zufällig ist die Waage das Sternzeichen des Monats Tischri.
An Rosch Haschana wird mithin über das Schicksal des Einzelnen und der Gemeinschaft im neuen Jahr entschieden. Eine "bebende Zuversicht" ist denn auch charakteristisch für die Stimmung dieses Festtages.

Tag des Posaunenschalls
"Schrill und herb, dumpf und elementar tönt der Schofarruf über die Schwelle des neuen Jahres … Die rauhen Töne des Schofar, die nicht schmeicheln, die mit ihren Dissonanzen und Schärfen ein Symbol der Wahrhaftigkeit, der ungeschminkten Wahrheit bilden, sind von zweierlei Art: ganze oder gebrochene Töne" (Joseph Carlebach, 1936).
Das zentrale Gebot für Rosch Haschana, das sich in der biblischen Bezeichnung dieses Festtages als "Jom Terua", "Tag des Posaunenschalls", widerspiegelt, ist das Schofarblasen. Jeder gebotspflichtige (d.h. zumindest dreizehnjährige) Jude ist verpflichtet, den Schofarton zu hören. Dieses Gebot gilt - wie jedes andere auch - nur dann als erfüllt, wenn man sich bei seiner Ausführung, dessen Gebotscharakters bewußt ist. Sowohl der Schofarbläser als auch seine Zuhörerschaft sollen an dem Bewußtsein, ein Gebot zu erfüllen, teilhaben.
Als Schofar dient meist ein gebogenes, ausgehöhltes Widderhorn. Das Schofarblasen, das am Tag (d.h. nicht in der Nacht) stattzufinden hat, ist als integraler Bestandteil in die Tagesgebete eingefügt worden.

Malchujot, Sichronot, Schofarot
Die für Rosch Haschana verfaßte Zentralpassage des Mussaf-Gebets ist in drei Hauptstücke eingeteilt, die jeweils nach dem in ihnen behandelten Thema benannt sind:
"Malchujot" (Königtum Gottes),
"Sichronot" (Gedenken) und
"Schofarot" (Posaunenklang).
Malchujot
In ihrem Mittelpunkt stehen 10 Bibelstellen, in denen Gott als "Melech" (König) bezeichnet wird bzw. Sein Königtum zur Sprache kommt. Dieses für Rosch Haschana zentrale Motiv wird nun durch die Erkenntnis Seines "Gedenkens" ergänzt.
Sichronot
Das Gedenken besagt, daß Gott nicht nur uneingeschränkter Herrscher ist, sondern daß Er der Welt auch in jedem Augenblick gedenkt und daß Ihm ferner die für eine göttliche Führung des Weltablaufs notwendige - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen umfassende Allwissenheit - zu Gebote steht. In den "Sichronot" werden 10 Bibelstellen angeführt, in denen Gottes uneingeschränktes "Erinnerungsvermögen" sowie Seine Allwissenheit angesprochen werden. Diese ist Garant für Gottes gütig-gerechte Vorsehung. Niemals wird die Welt aus Gottes Führung entlassen, niemals hat die göttliche Vorsehung ausgesetzt oder wird sie aussetzen. Der Glaube daran, daß Gott die Welt zu keinem Zeitpunkt aus der Verantwortung entlassen hat oder entlassen wird, ist unverzichtbarer Bestandtteil jüdischer Religiösität.
Schofarot
Aus dem Glauben an Gottes Vorsehung erwächst der erschütternde und zugleich die Erlösung verheißende Posaunenklang. In den "Schofarot" kommen 10 Bibelstellen zur Sprache, in denen von einem Schofar die Rede ist. Dies ist besonders bei der Offenbarung am Berg Sinai sowie bei der Beschreibung der künftigen Erlösung Israels der Fall. Das Schofar in seiner ganzen Unartikuliertheit, in seiner als ob dem ungereimten Schicksal selbst abgelauschten Dissonanz, verkündet etwas Elementares, Gewaltiges, das jenseits jeder weiteren Differenzierbarkeit nur zweierlei kennt: ein Ganzes und ein Gebrochenes - "Teki’a" und "Terua". In einem bekannten *chassidischen Sprichwort werden gerade diese beiden miteinander in Beziehung gesetzt:
"Nichts ist so ganz wie ein gebrochenes Herz".
 
Teschuwa
Teschuwa heißt Rückkehr - Rückkehr zu Gott. Diese wird vom Menschen zwar immer verlangt, vor Rosch Haschana und Jom Kippur jedoch doppelt und dreifach. "Wenn ins große Schofar gestoßen wird" (Jesaja 27,13), "dann wird ein Ton von ganz leiser Stille vernehmbar" (1. Könige 19,12), heißt es an Rosch Haschana im berühmten Unetane Tokef Gebet, das diese zwei scheinbar vollkommen unabhängigen Bibelverse miteinander in gehaltvolle Verbindung bringt. Hier ist von der Teschuwa die Rede. Sie ist die den stillen Tiefen der menschlichen Seele entspringende Antwort auf den elementaren Posaunenklang.
Die Teschuwa ist zunächst eine Abkehr von der Sünde. Sie bezeichnet die Bereitschaft des Menschen, seine eigenen Sünden als solche zu erkennen, zu bereuen und schließlich zu verlassen. Die Teschuwa wird nur dann als vollständig angesehen, wenn der vormalige Sünder in derselben Situation, mit derselben Versuchung ringend, dieselben Kräfte und Mittel zur Verfügung habend, diesmal einen anderen Weg einschlagen würde als den zuletzt von ihm gewählten, den er mittlerweile jedoch als schlecht erkannt hat (*Rambam, *Mischne Tora, Hilchot Teschuwa 2,1).
Dennoch, selbst wenn ein reuiger Mensch diese Bedingungen nicht erfüllt und erst auf seinem Sterbebett ehrliche Teschuwa leistet, wird sie vor Gott angenommen.
Auf einer höheren Ebene ist die Teschuwa jedoch mehr als eine Abkehr von der Sünde, sie ist die Rückkehr der sich selbst entfremdeten Seele zu ihren Ursprüngen. Sie wird uns in der Tora als die höchste und dabei die selbstverständlichste und nächstliegendste aller Aufgaben vorgestellt, die von Gott an den Menschen gestellt werden:
"… zurückkehren sollst du zu dem Ewigen, deinem Gott, mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele. Dieses Gebot, welches Ich dir heute anbefehle, ist nicht verborgen vor dir und nicht fern. Es ist nicht im Himmel, damit du sprächest: wer wird für uns zum Himmel emporsteigen und es uns herunterholen … Es ist auch nicht jenseits des Meeres, damit du sprächest: wer wird für uns über das Meer hinübersetzen und es uns holen … Vielmehr ist dir die Sache sehr nahe, in deinem Mund und deinem Herzen, damit du es tust" (Dt. 30,10-14).

Bräuche
Am Abend des Rosch Haschana Festes pflegt man sich gegenseitig ein gutes neues Jahr zu wünschen: "Leschana Towa tikatew wetechatem" ("Mögest du für ein gutes neues Jahr eingetragen und besiegelt werden").
Bei den Festmahlzeiten pflegt man Speisen zu essen, die in irgendeiner assoziativen Weise ein gutes Zeichen für das kommende Jahr setzen: Honig (damit das neue Jahr süß wie Honig wird) und Granatäpfel (damit unsere Verdienste so zahlreich seien wie dessen Körner) sind nur zwei Beispiele.
Vor dem Nachmittagsgebet des ersten Rosch Haschana Tages pflegt man an einen Fluß, ans Meer oder eine sonstige Wasserstelle zu gehen und dort Taschlich, ein symbolisches Abwerfen aller Sünden, vorzunehmen. Dabei werden einige Verse gesprochen.

Die zehn Bußtage
Zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur liegen die sog. zehn Bußtage.
"In den zehn Bußtagen soll ein jeder seine Lebensführung gründlich überdenken und (zu Gott) zurückkehren" .
An diesen Tagen werden Slichot gesprochen und besondere Gebetspassagen eingeschaltet. Die für die zehn Bußtage bezeichnende Stimmung wird aus den beiden Polen, zwischen denen diese Tage liegen, ersichtlich. Gottes Urteilsspruch, der an Rosch Haschana ins Buch eingetragen wird, wird erst an Jom Kippur endgültig besiegelt. Bis zur endgültigen Besiegelung seines ihm an Jom Kippur für das kommende Jahr zugedachten Schicksals kann sich der Mensch noch bewähren und ein eventuell bereits gefälltes Urteil mildern oder abwenden.
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן