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Judentum

Einführung


Jüdische Feste als "heilige Zeiten"
Eine Einführung
 
 
Heiligkeit und Heiligung
  Heiligkeit ist nach jüdischer Auffassung ein Zustand, der in seiner reinen Form nur Gott zukommt. Wenn auf den Menschen bezogen, bezeichnet Heiligkeit in erster Linie ein Aufgeben des Egoismus und ist somit moralischer Natur.
Der Zustand der Heiligkeit kann von einem Sterblichen wegen seiner mit der eigenen Körperhaftigkeit verbundenen existentiellen Bedürftigkeit wohl nie ganz erreicht werden. Daher sprechen wir im Falle des Menschen eher von Heiligung, d.h. von einem Prozeß, in dem er versucht, über sich selbst hinauszuwachsen. Die von der Tora proklamierte Gottesebenbildlichkeit des Menschen (Gen. 1,26) besagt, daß seinem moralischen und geistigen Wachstum keine Grenzen gesetzt sind: "Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin Ich, der Ewige, euer Gott" (Lev. 19,2).
Den Weg der Heiligung kann ein Mensch nur unter Mitmenschen gehen. Dort, inmitten seines ganz normalen Alltags als Familien- und Gesellschaftsmensch, der sich im Dickicht seiner Wünsche und Triebe, seiner Begabungen und Schranken sowie der eigenen und der an ihn von seiner Umgebung gestellten Ansprüche zu bewähren hat, wird der Mensch geprüft. Einsames Schweben auf spirituellen Höhen fern von jeder Menschengemeinschaft ist nach jüdischer Auffassung mit dem Streben nach Heiligkeit unvereinbar.
 
Heilige Räume, heilige Zeiten
  Raum und Zeit gelten in der abendländischen Philosophie seit Kant als die wesentlichen, die menschlichen Denk-, Wahrnehmungs- und Empfindungsstrukturen - und somit das menschliche Dasein - bestimmenden Anschauungsformen.
Die jüdische Religion, die an den Menschen den Anspruch der Heiligung stellt, kennt sowohl heilige Zeiten als auch heilige Räume, St&aum l;tten. Beide dienen dem Streben nach Heiligung und sollen dem Einzelnen und der Gemeinschaft in dieser Hinsicht den Weg weisen. Vergleicht man den Stellenwert von heiligen Zeiten mit dem von heiligen Stätten im Judentum, so hat die Heiligung der Zeit einen eindeutigen Vorrang.
 
Die heiligen Zeiten im Judentum
  Die heilige Zeit par excellence im Judentum ist der *Schabbat. Er kann als das hervorstechendste Merkmal des Judentums überhaupt angesehen werden.
Die Heiligkeit des Schabbat wird höher bewertet als die der Festtage. Im Gegensatz zu den jüdischen Festen, die sich am *hebräischen Kalender orientieren und daher an den Monats- und Jahreszyklus gebunden sind, entzieht sich der Schabbat jedem Naturzyklus und somit auch jeder kalendarischen Berechnung. Er kommt einfach alle sieben Tage wieder. Der vom jüdischen Schabbat diktierte und von ihm instituierte Wochenzyklus - mittlerweile weltweit verbreitet - hat (im Gegensatz etwa zum Tag, Monat bzw. Jahr) keine Parallele in der empirisch erfaßbaren Welt, sowie ja auch die Schöpfung aus dem Nichts, die laut Zeugnis der Bibel mit dem Schabbat abgeschlossen wurde (Gen. 2,1-3), empirisch nicht faßbar ist. An der Unabhängigkeit des Schabbattages vom jedweden wahrnehmbaren Naturzyklus wird die absolute Neuerung offenbar, die das Judentum in die Welt hineintrug: Die Bezugnahme auf eine einig-einzige, jenseits der Natur liegende transzendentale Macht, die dennoch das ganze Dasein durchdringt und am Schicksal des Menschen regen Anteil nimmt - den Schöpfer der Welt und Gott Israels.
Auch die jüdischen Feiertage werden als "heilige Zeiten" bezeichnet. Jeder einzelne dieser Feiertage sollte von seiner Bedeutung her im Rahmen des auf dem hebräischen Kalender basierenden jüdischen Festtagszyklus betrachtet werden.
Seit der Aufklärung - der Zeit der intellektuellen Selbstreflektion - war es oft gerade dieser Jahres- und Festtagszyklus, der bei vielen modernen jüdischen Denkern den Ausgangs-, ja manchmal den Dreh- und Angelpunkt ihrer Betrachtungen über das Judentum bildete.
 
Heiligung durch Gebote - Die Halacha
  Nach jüdischer Tradition kommuniziert Gott mit dem Menschen in der Hauptsache über Seine Gebote. Dies war schon bei Adam so (Gen. 2,16-17), und es findet einen noch stärkeren Ausdruck in der Beziehung Gottes zu Seinem Volk. Für den Juden stellen die Gebote ein Mittel zur Erreichung von Gottesnähe dar, mithin einen Weg der Heiligung. So spricht man vor Erfüllung eines Gebotes den *Segensspruch: "Gesegnet seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns geheiligt durch seine Gebote …".
Das jüdische Religionsgesetz, die Halacha, war von jeher zentraler Bestandteil des Judentums. Dies gilt noch mehr seit der Zerstörung des *Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n.: "Seit der Zerstörung des Tempels hat der Heilige, gesegnet sei Sein Name, in Seiner Welt nur noch die vier Ellen der Halacha " (*Talmudtraktat Berachot 8a).
"Halacha" heißt wörtlich: Gehen, Gang. Der Gang des Juden durch das irdische Leben vollzieht sich in den Bahnen des Religionsgesetzes. Dieses empfiehlt nicht, es befiehlt. Durch das Befolgen der Gebote, nicht durch ein Eingehen auf Ratschläge, wird der Mensch geheiligt. Die Halacha schreibt dem Juden bestimmte Handlungen vor (Gebote), andere untersagt sie ihm (Verbote). In dem Befehlscharakter sowie in der Forderung an das menschliche Tun und Lassen - und nicht nur an die Ausrichtung des Herzens - liegt das Wesen des Gesetzes begründet.
Die Gebote der Halacha betreffen sowohl einen als "zwischen Mensch und Gott" definierten Handlungsraum als auch den zwischenmenschlichen Bereich.
Den Kern der Halacha bilden 613 Gebote (248 Ge- und 365 Verbote), die ihren Ursprung in der *Tora haben, mithin als *Toragebote gelten. Die jüdischen Weisen haben im Laufe der Geschichte - sich auf die Autorität einer sie dazu ermächtigenden Schriftstelle (Dt. 17,9-11) stützend - weitere Gebote hinzugefügt. Letztere werden als *rabbinische Gebote bezeichnet und sind ebenfalls verbindlich.
Jüdische Denker aller Epochen haben immer wieder den inneren Sinn des jüdischen Religionsgesetzes zu erforschen gesucht. Im Hinblick auf die globale Wirkung der Halacha auf die jüdische Weltauffassung sowie auf das Lebensgefühl und die Seelenverfassung des Menschen hat der Autor des mittelalterlichen *Sefer haChinuch die Formel geprägt: "Die Handlungen des Menschen prägen dessen Bewußtsein". Karl Marxs Ausspruch "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" nimmt sich geradezu wie eine erweiterte Fassung dieses Grundsatzes aus. Demnach prägen Handlungen das Bewußtsein in einem vielleicht noch entscheidenderen Maße als das Bewußtsein die Handlungen prägt.
Bei den wichtigsten, im Laufe der Geschichte an das Judentum von außen herangetragenen, aber auch von innen erwachsenden religiösen Zwisten spielte die Auseinandersetzung um die Halacha eine zentrale Rolle. An der Stellung zur Halacha und an ihrer Beurteilung kristallisierten sich oft die unterschiedlichen religiösen Auffassungen. *Pharisäer und *Sadduzäer, Juden und Christen, *Samaritaner und *Karäer sowie in der Neuzeit *Orthodoxe und *Liberale - der entscheidende Trennungsstrich zwischen all jenen verlief oft gar nicht so sehr zwischen konkurrierenden Glaubensinhalten, als zwischen verschiedenen Einstellungen zum jüdischen Religionsgesetz: Uneingeschränkte Bejahung seiner Autorität, Beschränkung seiner Autorität auf die Vergangenheit, bedingte Bejahung seiner Autorität, Infragestellung seiner Authentizität oder auch schlichte Ablehnung - dies etwa sind die verschiedenen Grundpositionen, die dazu bezogen wurden und werden.
Im Laufe der jüdischen Geschichte fehlte es nicht an Versuchen, das *"Joch der Gebote" abzuschütteln. Dort wo dies tatsächlich geschah, führte die gänzliche Abwendung vom jüdischen Religionsgesetz oft zur Indifferenz gegenüber der überlieferten Religion und häufig auch zum Verlust der jüdisch-nationalen Identität.
Keine Abhandllung über das Judentum kommt daher an der Halacha, am jüdischen Religionsgesetz vorbei. Zahlreiche moderne jüdische Denker stimmen einer Definition des Judentums als *Gesetzesreligion grundsätzlich zu und suchen das Wesen des Judentums gerade aus diesem Religionsgesetz heraus zu ergründen. Bei den im Rahmen der "Alef-Bet Schatztruhe" vorliegenden Betrachtungen zu den jüdischen Festen werden wir versuchen, auch diesem Aspekt des Judentums - dem jüdischen Religionsgesetz - gerechtzuwerden.
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן