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Judentum

Tod


Der Tod im jüdischen Glauben
 
In der Bibel wird symbolisch dargestellt, daß im Paradies der Baum des ewigen, also todlosen Lebens dicht neben dem Baum der Erkenntnis stand (1. Buch Mose 2,9) und in diesem Zusammenhang wird als Teil der Erkenntnis die Möglichkeit des Todes oder des Sterbens dem ersten Menschen von Gott selbst als Tatsache, nicht als Glaube bekannt gegeben (1.B.M. 2,17).
Die Frage um den Tod im jüdischen Glauben kann in vielerlei Zusammenhängen gesehen werden:
  • Der Tod und das Universalgesetz "du sollst nicht morden": Dieses Gesetz ist als sechstes unter den zehn Geboten für alle Menschen und für alle Zeiten gegeben (2.B.M. 20,13; 5.B.M. 5,17) und wird in den sieben noachidischen Gesetzen* für die Gesamtbevölkerung der Erde wiederholt, denn über Leben und Tod darf nach jüdischer Auffassung nur Gott selber entscheiden. Insofern ist nach jüdischem Gesetz auch Selbst-„Mord“ verboten. Die jüdische Lehre ist eine Lebenslehre, „ihr sollt die Lehre halten und durch sie leben“ (3.B.M. 18,5); dementsprechend muss alles getan werden, um Leben zu erhalten, ja selbst Gebote zu übertreten, um das Leben eines jeglichen Menschen vom Tode zu retten und den Tod zu vermeiden. Deshalb gilt nach jüdischem Gesetz der Sterbende ("Gosses"), selbst in schwerstem Zustand, bis zu seinem letzten Atemzug als Lebender, dessen Leben erhalten werden muß.
  • Der Tod und die Heiligung von Gottes Namen: Die Heiligung von Gottes Namen, der Märtyrer-Tod, stellt den jüdischen Menschen vor ein Dilemma: Nicht für jede erzwungene Unterlassung oder Übertretung eines Ge- oder Verbotes darf ein Mensch sein Leben hergeben. Ein unnötiger Verzicht auf das Leben ist keine Heiligung des Namens. Dabei kann der Einzelne, der in einer Situation eines Gewissens-Bedrängnisses steht, gar nicht entscheiden, wofür er sein Leben lassen darf. Die Pflicht der Namensheiligung ist daher im jüdischen Gesetz begrenzt und festgelegt und bezieht sich auf: „Götzendienst, Unzucht und Mord“. Nur angesichts erzwungener Übertretung dieser drei Verbote ist der Märtyrertod zu erleiden. Aber wenn von anderen Ge- oder Verboten die Rede ist, steht die Pflicht der Lebenserhaltung über ihnen (Maimonides).
  • Der Tod und das jüdische Gesetz der Totenehre: Die Totenehre gilt als höchstes, heiliges, handelndes selbstloses Gebot, da uns der Tote dafür ja nicht mehr danken kann. Die letzten Liebestaten an dem Toten werden mit zurückhaltender Ehrfurcht ausgeführt – wie z. B. der Brauch bei den letzten Waschungen nicht den ganzen Körper bloß zu legen (Baer, 1894). Die Totenpflege wird – von einem Mann für die männlichen, von einer Frau für die weiblichen Verstorbenen – meist ehrenamtlich von den Vornehmsten der Gemeinde übernommen. Die Totenehre kommt auch in der hebräischen Sprache zum Ausdruck: ein Begriff, wie „Leichenhalle“ kennt sie nicht, sondern gebraucht das Wort: "Haus der Reinheit" (Bet haTahara).
  • Der Tod und der menschliche Körper: Trotz des vorher Gesagten ist die Kenntnis des körperlichen Zustandes des Beerdigten ganz realistisch und wird schon dem ersten Menschen, Adam, mitgeteilt (1.B.M. 3,20) und warnend in der mündlichen Lehre formuliert: "Wohin führt dein Weg? An eine Ort von Erde und Staub… und Würmern" (Mischna Awot 3,1 ); "sei demütig, denn die Hoffnung des Menschen endet in Gewürm" (das. 4,4).
  • Der Tod und das Begräbnis: Im alltäglichen hebräischen Sprachgebrauch ist für Friedhof der Ausdruck „Haus der Gräber“ (Bet Kwarot) geläufig, der religiöse Ausdruck jedoch, ist „Haus des Lebens“ (Bet haChaim) oder Haus der Ewigkeit (Bet Olam), denn die Grabstätte ist ewig unverletzlich (Kohelet Rabba 12,5), eine „beschränkte Friedhofsruhe“ kennt das jüdische Gesetz nicht (Preuss, 19212).
  • Der Tod und die Trauer um den Toten: Die Trauer um den Toten hat eine zweifache Begründung: Trauer um den Verlust des Verstorbenen selbst, und Trauer um die Tatsache, dass dieser Gottes Gebote nicht mehr ausführen kann. Die handelnde Trauer, mit genauen Trauerriten und Gebeten verbunden, ist die der Hinterbliebenen, die mit psychologischem Verständnis von strengen Trauerriten in der ersten Woche, nach einem erleichternden Trauermonat, ein ganzes Trauerjahr für die Nächstverwandten des Verstorbenen angeordnet ist, mit der Vorschrift des *Kadischgebetes, das Gottes Waltung verherrlicht. Doch der Toten wird auch weiterhin gedacht, am jährlichen Todestag, der „Jahrzeit“, und in Gedenkgebeten ("Jiskor"), welche viermal im Jahre in die Feiertagsgebete eingeschaltet werden.
  • Der Sinn des Todes: „Und dann kommt der Tod als der große Wegweiser des Lebens“ (Carlebach, 1936). Der Tod lehrt uns die große Geduld, den Ernst des Lebensgefühles, die Bescheidenheit gegenüber Gottes Fügungen. Der Tod bewahrt den Menschen vor naivem Optimismus und konfrontiert ihn mit Selbstkritik. Der glückliche Augenblick, dessen Dauer nie gewährleistet ist, wird erst angesichts des Todes ohne Enttäuschung zum Besitz. Der Tod zeigt, wie unendlich wertvoll der Augenblick zum guten Wirken ist. Aus dieser Sicht, aus der Sicht des ständigen guten Wirkens soll der Mensch jeden Moment todesbereit sein (nach 2.B.M.19,14). "Aus dem Ernst des Todes nimmt die Seele den Schwung über alle Fragwürdigkeit des Menschenseins, des Lebens, um sich durch Gott und sein Gebot emporzuschwingen" (Carlebach, das.).
  • Der Tod und der Glaube an die Auferstehung der Toten: Der religiöse Glaube ist ein besonderer geistiger oder seelischer Vorgang, der sich selber als die menschliche Antwort (im subjektiven Sinn) auf die freie Selbstoffenbarung Gottes versteht (nach Schweizer Lexikon, 1956). Das Judentum, als handelnde Religion (Gesetzesreligion*) enthält kein ausdrückliches Gebot zu „glauben“. Das erste der zehn Gebote heißt nicht „Glaube an Gott“, sondern besagt: „Ich bin der Ewige dein Gott“ (2.B.M. 20,2; 5.B.M. 5,6). Insofern ist der Glaube autonom. Der wohl größte jüdische Religionsphilosoph, Maimonides*, hat jedoch 13 Glaubensgrundsätze formuliert, jeder beginnend mit den Worten: Ich glaube in vollständigem Glauben ("Ani ma`amin be`Emuna schlema"). Der 13. Grundsatz bezieht sich auf den Glauben an die Auferstehung der Toten, angedeutet im Ausspruch „ Die Geborenen sind zum Sterben bestimmt und die Toten – zur Auflebung“ (Mischna Awot 4,29). Hier kann ein breites Feld des Glaubens angesprochen werden – von dem kindlichen oder einem Gemütsglauben über die körperliche „leibhafte Auferstehung“ bis zu einer philosophischen Sicht, die an die Auferstehung oder Wiedererweckung geistig-intellektueller Kräfte glaubt. In der moderneren Wissenschaft wird der jüdische Glaube an die Wiederauferstehung der Toten ("Techijat haMetim") als sich erst in nachbiblischer Zeit entwickelter Gedankengang anerkannt (Fohrer, 1973; Naveh,1991). Für den gläubigen Juden jedoch gelten viele Bibelstellen als Hinweise auf diese "Techijat haMetim" (Herzberg, 1973), z.T. durch traditionelle Exegeten, wie *Raschi, erklärt und erweitert (z.B. zu 3.B.M. 18,5).
  • Zusammenfassung: In der jüdischen Religion sind Leben und Tod seit Menschenbeginn in Gottes Hand. Daraus ergibt sich das Verbot des Mordes, der das Leben unterbricht, statt, wie vorgeschrieben, das Leben zu erhalten. Obgleich der Zustand des Todes aus physiologischer Sicht genau bekannt ist, wird der Tote ehrenvoll behandelt und von den Hinterbliebenen betrauert, in beiden Situationen nach genau auszuführenden Geboten der Handlung. Der Sinn des Todes besteht in der Betonung des Kostbarkeit des Lebens, und in der Mahnung, jeden Augenblick „todesbereit zu sein“, dessen Ausdruck die Erfüllung der Gebote Gottes, das Gut-sein und Gut-tun ist. Die Auferstehung der Toten liegt im Bereich des Glaubens, der zwar formuliert wurde, aber sich in keiner vorgeschriebenen Gebots-Handlung, einer *Mizwa, äussern kann.
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן